Denkanstöße zum Abkommen Regierung-Religionsgemeinschaften

1) Vorbemerkung zum Abkommen

Die Regierung spricht von einer notwendigen Modernisierung, die dem 21. Jhd. gerecht werden soll. Mit Blick auf die inhaltliche Finalität, die das Abkommen wiederspiegelt, trifft das wohl zum Teil zu. Die Art und Weise, wie das Abkommen zustande gekommen ist, entspricht jedoch nur marginal den Erfordernissen der Modernität.

Die prozeduralen und institutionellen Rahmenbedingungen des Reformprozesses sind komplex und vielschichtig. Trotzdem ist es höchst bedauerlich, dass die Regierung die Chance verpasst hat, alle interessierten Akteure in die Debatte über ein zukünftiges Modell mit einzubeziehen. Aus Regierungskreisen heißt es, die Reform betreffe die Religionen, also würde auch nur mit diesen verhandelt. Dass eine Regierung, die den Anspruch hat, das Land in das 21. Jhd. zu führen eine solche Herangehensweise wählt, ist enttäuschend. Die Bevölkerung in religiös und nicht religiös einzuteilen hat mit einer modernen Gesellschaftsgestaltung nichts zu tun. Alle Menschen haben (ein Recht auf) eine Weltanschauung, ganz gleich ob sie rational oder irrational geprägt ist. Es wurde versäumt, in diesem Kontext die Verhältnisse zwischen Staat und Weltanschauungen zu regeln, dies zugunsten der vermeintlichen Repräsentativität der Religionen.

Dass die Regierung ausschließlich mit den staatlich anerkannten Glaubensgemeinschaften über die Auflösung des veralteten Modells verhandelt hat, ist verständlich. Über die Gestaltung eines neuen Modells hätte die Regierung aber das gesamte Spektrum der in Luxemburg organisierten Weltansichten, d.h. auch die säkularen Vertreter hinzuziehen müssen, und das nicht nur bei der Ausarbeitung des Einheitsunterrichts.

2) Die Finanzierung der Glaubensgemeinschaften

Wenn schon eine staatliche Finanzierung einiger Glaubensgemeinschaften stattfindet - was wir als AHA noch immer ablehnen - begrüßen wir, dass diese zwingend an den Respekt der öffentlichen Ordnung, Demokratie, Menschenrechte, Gleichbehandlung und Gleichstellung von Mann und Frau gebunden ist. Als positiv zu werten ist, dass erstmalig eine transparente Buchhaltung geführt werden muss und eine Kontrolle seitens des Staates erfolgen soll.

Eine Übergangsphase zwischen dem veralteten und dem neuen Modell ist im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhaltes eine Kompromisslösung, auch wenn wir als AHA einen deutlicheren Einschnitt bevorzugt hätten.

Dass die „Ministres des Cultes“ in Zukunft privat von den jeweiligen Religionsgemeinschaften eingestellt werden und die Subventionen jährlich schrumpfen sollen, ist seit langem überfällig, aber erst ein Anfang. Enttäuschend ist aber, dass der Verteilerschlüssel der Subventionierung willkürlich und intransparent scheint. Im Regierungsprogramm steht klar und deutlich, dass bei der Finanzierung der Religionsgemeinschaften das Prinzip der Selbstbestimmung zu gelten habe. Dazu steht das neue Modell im Widerspruch.

3) Der Werteunterricht

Begrüßenswert ist, dass das Prinzip des gemeinsamen konfessionsfreien Ethikunterrichts für alle Schüler umgesetzt werden soll, anstelle der künstlichen Aufteilung der Schüler gemäß der Religionszugehörigkeit beziehungsweise Nichtzugehörigkeit ihrer Eltern. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist dies von zentraler Bedeutung.

Die staatliche Zusage, den ReligionslehrerInnen weiterhin eine Anstellung zu gewährleisten, war eine politische Notwendigkeit. Dieses Angebot muss jedoch an obligatorische Fortbildungsmaßnahmen gekoppelt sein. Außerdem ist es unumgänglich, dass der gemeinsame Ethikunterricht in der Grundschule prioritär vom zuständigen Klassenlehrer gehalten wird.

Eine unserer zentralen Sorgen gilt dem Inhalt des neuen Fachs. Junge Menschen sollen in der Schule durchaus über Religionen aufgeklärt werden, weil diese sowohl historische als auch politische Phänomene darstellen. Die fachgerechte Vermittlung von Wissen über Religionen darf jedoch nur einen Teilaspekt des zukünftigen Fachs darstellen. Grundsätzlich sollte dieser neue Kurs auf der Methode des philosophischen Hinterfragens beruhen und die Schüler mit einer möglichst großen Bandbreite von Werten und Wertvorstellungen konfrontierten, ohne ihnen irgendetwas aufzudrängen, damit sie selbst frei entscheiden können wonach sie ihr Leben ausrichten wollen.

4) Die kommunale Ebene: Kirchenfabriken und Kirchengebäude

Was die Reform der kommunalen Ebene betrifft, sind die Pläne der Regierung als äußerst positiv zu bewerten. In Zukunft wird es keine kommunale Finanzierung der Kirchenfabriken mehr geben, da Letztere ganz abgeschafft werden. Auch für den Unterhalt der Kirchengebäude werden keine Steuergelder mehr eingesetzt werden.

5) Verfassung

Lobenswert ist, dass der Artikel 106, der den Staat bisher verpflichtet hat, für die Gehälter und Renten der „Ministres des Cultes“ aufzukommen ersatzlos gestrichen wird. Die finanziellen Verhältnisse zwischen Staat und Glaubensgemeinschaften haben künftig also keinen Verfassungsrang mehr und werden wenn überhaupt per Gesetz geregelt.

Aus dem alten Artikel 22 wird ein neuer Artikel 117, in dem die Möglichkeit der Konventionen mit Religionsgemeinschaften zwar noch erwähnt wird, auf der anderen Seite aber auch die Prinzipen Neutralität, Unparteilichkeit und Trennung Einzug erhalten. Diskriminierend ist allerdings die Tatsache, dass nicht religiöse Menschen in diesem Artikel 117 keine Erwähnung finden. Daraus ergibt sich im geplanten Artikel 117 ein inhärenter Widerspruch.

6) Referendum

Da ein Abkommen zustande gekommen ist, entfällt die Referendumsfrage über die Finanzierung der Glaubensgemeinschaften.

Auf den ersten Blick scheint diese Vorgehensweise enttäuschend. Es gilt aber zu bedenken, dass die ursprüngliche Fragestellung als rein konsultatives Referendum vor dem eigentlichen Referendum über den neuen Verfassungstext zu verstehen ist. Die vier Fragen haben Themenbereiche betroffen, in denen im Parlament keine Einigung erzielt werden konnte. Da nun in der Frage zur Abschaffung des Artikels 106 über die Finanzierung der „Ministres des Cultes“ eine Einigung erzielt werden konnte ergibt es wenig Sinn, diese Frage zu stellen.

7) Fazit

Inhaltlich stellt das Abkommen unter dem Strich einen großen Fortschritt gegenüber den aktuellen Verhältnissen dar, auch wenn es in manchen Fragen deutlich hinter unseren Erwartungen an die Regierung zurückbleibt. Gewiss gehen die Subventionen an die Religionen zurück. Finanzielle Selbstbestimmung wie es das Regierungsprogramm verspricht gibt es aber weiterhin nicht. Die Umsetzung des gemeinsamen Ethikunterrichts für alle Schüler bedeutet für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einen Fortschritt. Maßgeblich dafür ist aber der Inhalt des neuen Fachs, über den noch leider zu wenig bekannt ist. Auf AHA kommt in diesem Sinne noch sehr viel Arbeit zu. Die Neuregelung der Verhältnisse auf kommunaler Ebene ist nicht nur gerecht, sondern bietet auch für die Gemeinden vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Hier hat die Regierung eine stringente Lösung erzielt. Auch hier gilt es aber auf die praktische Umsetzung zu warten.

Obgleich sich inhaltlich ein Fortschritt andeutet, sind wir über die Art und Weise, wie das Abkommen zustande gekommen ist enttäuscht. Wir hoffen, dass die Verantwortlichen ihre Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität mit der Einteilung „Gläubige und Nichtgläubige“ einsehen und im weiteren Verlauf des Reformprozesses von einer Diskriminierung nicht religiöser Weltanschauungen absehen.

Mit dem Abkommen sehen wir nicht das Ende der langjährigen Diskussion über die Trennung von Kirche und Staat, sondern deren eigentlicher Anfang.

 

Download:

2015-02-12_Reflexions_Accord_DE.pdf
2015-02-12_Reflexions_Accord_FR.pdf